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Bundeskanzler unterstützt Mobilfunklobby und senkt Grenzwerte nicht

Aus: Tagesspiegel Online, 07.12.2001

Bundesregierung ignoriert tausende wissenschaftliche Studien und beharrt auf den viel zu hohen Grenzwerten

Finanzielle Interessen von Großkonzernen haben Vorrang vor dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung

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Die bisher geltenden Grenzwerte für die Strahlung von Mobilfunkantennen werden nicht verschärft. Das erfuhr der Tagesspiegel aus Verhandlungskreisen. Bereits in der kommenden Woche soll es eine Stellungnahme aus dem Bundeskanzleramt geben. Bedenken aus der Bevölkerung und aus dem Umweltministerium hatten dazu geführt, dass auch im Bundeskanzleramt geprüft wurde, ob heutige Handyantennen zu hohe Elektrosmogwerte haben.

"Die Verschärfung der Grenzwerte ist vom Tisch", hieß es aus den Verhandlungskreisen. Dies habe ein Gespräch ergeben, dass an diesem Mittwoch im Kanzleramt stattfand. Dort trafen sich Vertreter der Mobilfunkbetreiber und der beteiligten Ministerien bei Staatsminister Hans Martin Bury. Die Mobilfunkbetreiber könnten optimistisch sein, dass die langen Diskussionen über das Thema Elektrosmog in der kommenden Woche für sie zu einem guten Ende kommen, hieß es aus den Kreisen weiter. Eine Stellungnahme aus dem Kanzleramt war bis Redaktionsschluss nicht zu erhalten.

Die Diskussion um die Senkung der Elektrosmogwerte dauert schon seit Jahren an. Die Situation hat sich jedoch dadurch verschärft, dass die Zahl der Antennen immer weiter zunimmt. Gerade sind die Mobilfunkbetreiber dabei, die Netze für den neuen Mobilfunkstandard UMTS aufzubauen. Für die neue Technik sind deutlich mehr Antennen notwendig, als für den heutigen GSM-Standard. Bundesumweltminister Jürgen Trittin hätte zur Vorsorge vor möglichen gesundheitlichen Gefährdungen durch elektromagnetische Felder die bisherigen Regelungen zum Strahlungsschutz gerne verschärft. Bei niedrigeren Strahlenschutzwerten müsste dann aber die Zahl der Antennen noch einmal erhöht werden, um die gleiche Netzabdeckung zu erreichen. Nach Informationen des Bundeswirtschaftsministeriums müssten die Unternehmen dann 18 Milliarden Mark mehr in den Aufbau der neuen UMTS-Netze stecken.

Die sechs Netzbetreiber T-Mobil, D2-Vodafone, E-Plus, Viag Interkom, Mobilcom und Quam haben im vergangenen Jahr zusammen bereits knapp 100 Milliarden Mark allein für die UMTS-Lizenzen ausgegeben. Die Bundesregierung müsste damit rechnen, dass die Unternehmen Schadenersatz in empfindlicher Höhe fordern würden, wenn sie die Lizenzbedingungen nachträglich verändern würde. Sowohl das Bundeswirtschafts- als auch das Bundesfinanzministerium sind daher gegen eine Änderung der Grenzwerte.

Trotzdem kann die Politik den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung gegen den Bau neuer Antennen nicht ignorieren. Fast in jedem Wahlkreis gibt es inzwischen Bürgerproteste. Aus diesem Grund fällt es den Mobilfunkbetreibern auf der anderen Seite immer schwerer, die notwendigen Standorte für ihre Masten zu finden. Daher sind sie auch nicht mit leeren Händen ins Kanzleramt gegangen. Sie haben der Bundesregierung eine erweiterte Selbstverpflichtung angeboten, heißt es aus den Verhandlungskreisen. Das sei das Einstiegsangebot gewesen.

Über die bereits im Sommer getroffene Vereinbarung mit den Städten und Kommunen hinaus, wollen die Unternehmen die örtlichen Behörden bei der Planung der Netze deutlich stärker mit einbeziehen. Auch mit dem Thema Mobilfunkantennen in der Nähe von Schulen und Kindergärten solle künftig sensibler umgegangen werden, hieß es. Darüber hinaus soll der Aufwand für die Information der Bevölkerung und die Forschung zum Thema Elektrosmog weiter erhöht werden.

Ein Schwerpunkt bei der Diskussion im Kanzleramt habe auch auf dem Thema Handys gelegen, hieß es aus den Verhandlungskreisen weiter. Bei den Mobiltelefonen soll künftig auf eine bessere Abschirmung der Geräte geachtet werden. Zudem sei über eine Kennzeichnungspflicht der Handys gesprochen worden. Der Verbraucher soll in Zukunft leichter erkennen können, welche Strahlenwerte sein Handy hat.

In der kommenden Woche soll das Ergebnis des Gesprächs nun den Fraktionen vorgelegt werden, hieß es. Noch sind keine Vereinbarungen mit den Netzbetreibern unterschrieben. Die Mobilfunkunternehmen hoffen aber, dass es noch in diesem Jahr eine Entscheidung geben wird.

Grenzwert-Konflikte

Mobilfunkgegner warnen vor Elektrosmog. Betreibern fehlen die Beweise

Ingomar Schwelz

Dem wachsenden Widerstand in der Bevölkerung gegen die Errichtung der neuen UMTS-Sendeanlagen wollen die sechs Mobilfunkbetreiber in Deutschland jetzt mit einer groß angelegten Werbekampagne begegnen. "Künftig werden wir neue Standorte für unsere Antennenanlagen zusammen mit den Kommunen und Bürgerinitiativen aussuchen", kündigte der Leiter des Betreiber-Lobbyvereins "Informationszentrum Mobilfunk" (IZMF), Immo von Fallois, an. Gleichzeitig verstärken sich die Signale, dass die Regierung nicht mehr an eine Senkung der Grenzwerte für Elektrosmog denkt.

Bundeskanzler Gerhard Schröder beendete die lange schwelende Diskussion um die Handy-Strahlung mit der Aussage, dass es "keine schärferen Vorsorgewerte für Mobilfunk-Sendeanlagen geben wird." Mit seinem Machtwort beendete der Kanzler einen Streit, der zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem Umweltressort entbrannt war. Die Regierung bannte damit die Gefahr von möglichen Regressforderungen der Betreiber, die im vergangenen Jahr für fast 100 Milliarden Mark die Lizenzen für den Bau der neuen UMTS-Mobilfunknetze vom Staat erworben hatten. "Für uns ist damit das Thema vom Tisch", meint Betreiber-Sprecher Fallois. Die Firmen T-Mobil, D2 Vodafone, E-Plus, Viag Interkom, Mobilcom und Quam hatten in den letzten Monaten immer wieder die Planungssicherheit für den Aufbau der neuen Netze für die dritte Handy-Generation angemahnt.

"Der Mobilfunk ist nach dem heutigen Stand der Forschung sicher", betont auch T-Mobil-Sprecher Lothar Weigelt. Die behauptete gesundheitliche Unbedenklichkeit der Handy-Strahlung ist ein Kernpunkt in der jetzt gestarteten fünf Millionen Mark teuren Werbekampagne der Betreiber. "Wir wollen", kündigt Weigelt an, "mit skeptischen Bürgern ins Gespräch kommen und Ängste vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen abbauen." Die Standorte neuer Anlagen sollen zudem bis zum Jahresende mit kommunalen Spitzenverbänden wie dem Deutschen Städtetag abgesprochen werden.

Die Betreiber gehen davon aus, dass in den kommenden vier Jahren neben den bereits bestehenden 50 000 Sendeanlagen weitere 40 000 Anlagen benötigt werden. So sollen bis zum Jahr 2005 dem Lizenzvertrag zufolge 50 Prozent der Deutschen den High-Speed-Standard UMTS nutzen, der eine Übertragung von bis zu zwei Millionen Bits pro Sekunde zulässt und die Welt zum mobilen Dorf machen soll - mobiler Internetzugang inklusive.

Die jetzt eingeläutete offenere Informations- und Planungsspolitik der Netzbetreiber kommt nicht von ungefähr: Sie suchen die Kooperation mit ihren Kritikern auch, weil die Proteste gegen die elektromagnetisch strahlenden Masten in den vergangenen Monaten teilweise eskaliert sind. Immer wieder werden Anlagen von militanten Gegnern beschädigt oder zerstört. Der Schaden geht in die Milliarden; Verzögerungen beim Aufbau der Infrastruktur sind längst absehbar. Mit der Politik des Dialogs wollen die Betreiber den Sprengstoff aus dem Konflikt nehmen. "Wir wollen nicht länger behindert werden", sagt Weigelt, "und nicht weiter um jeden Standort kämpfen."

Viele Kritiker wollen ihren Widerstand noch verstärken. "Die Wut vieler Menschen wird immer größer", meint Siegfried Zwerenz, der Vorsitzende der "Bürgerwelle e.V." In dem Dachverband haben sich zwischen den Nordsee und den Alpen bisher rund 1300 Bürgerinitiativen zum Schutz vor Elektrosmog zusammengeschlossen. Im letzten Jahr verhinderte der Verband eigenen Angaben zufolge den Bau von 300 Sendeanlagen.

Wie Pilze wachsen inzwischen die Protestgruppen aus dem Boden: Ihre Zahl ist Zwerenz zufolge auf insgesamt 11 000 gestiegen. Viele fordern die Senkung der Grenzwerte für Elektrosmog um ein Millionenfaches und die Einsetzung einer von der Industrie unabhängigen Forschung.

Die Gefahr durch die gepulste Mikrowellenstrahlung für Tier und Mensch ist für die Protestbewegung kaum mehr wegzudiskutieren. Nicht nur für den Heilpraktiker Zwerenz haben unabhängige Untersuchungen den Zusammenhang zwischen den elektromagnetischen Handy-Wellen und dem Entstehen von Krankheiten wie Herzrhythmusstörungen, Erbgutschäden oder Krebs belegt. Auch die Bundesärztekammer sieht eine gesundheitliche Gefährung durch die zurzeit rund 55 Millionen Funktelefone in Deutschland. "Es gibt gewichtige Hinweise für Schäden durch Mobilfunkstrahlung", betont Heyo Eckel, der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Umwelt. Er halte es für sorglos, wenn an den bestehenden Grenzwerten festgehalten werde. "Die Behörden sind dringend aufgefordert, sich mit den wissenschaftlichen Ergebnissen auseinanderzusetzen."

Viele Wissenschaftler kritisieren, dass die bestehenden Grenzwerte nur die thermischen Wirkungen der Handy-Strahlung berücksichtigten. Neben dem Schutz vor dem Hitzestress komme es aber vor allem auf die Abwehr der nichtthermischen Energie an, die die Gerhirnzellen in Schwingung versetzt und die dafür bekannt ist, den Gehirnrhythmus zu beeinflussen. Besonders Kinder seien gefährdet.

Schon geringste elektromagnetische Felder haben nach Angaben von Günter Käs von der Universität der Bundeswehr in Neubiberg Auswirkungen auf biologische Vorgänge wie die Signalübertragung im Körper. "Die Effekte sind weit stärker als die meisten auch nur ahnen", meint der Radarmesstechniker. In diesen Zusammenhang fällt auch eine Untersuchung an der schwedischen Universität Lund, wonach Mobilfunkstrahlen die Blut-Hirn-Schranke öffnen. Gifte könnten so leichter ins Gehirn eindringen. Selbst bei Leistungen, die 20 000-fach unter denen eines Handys liegen würden, versage bereits die Blut-Hirn-Schranke, glauben die Forscher.

Für die Mobilfunkbetreiber fehlen jedoch bislang die Beweise für eine Handy-Schädlichkeit. Mehr als 3000 Studien haben nach ihren Aussagen weder Gefahren belegen noch ausschließen können (bewußte Lüge zum Nachteil der Bevölkerung - es liegen mittlerweile Zehntausende von Studien vor, die erhebliche Gesundheitsgefahren eindeutig belegen). Weitere Forschungen freilich seien angesichts der komplexen Forschungslage nötig (ach ja, warum denn? Es geht nur darum, jahrelange Verzögerungen zu erreichen, damit die Betreiber ohne Verluste in der Zwischenzeit heimlich eine bessere Technologie entwickeln können - daß die Bevölkerung in der Zwischenzeit erheblich gesundheitlich geschädigt wird, wird dabei billigend in Kauf genommen!). "Bisher jedenfalls", sagt IZMF-Leiter Immo von Fallois, "sehen wir kein gesundheitliches Risiko."  (richtig - der Lobbyverein sieht das Risiko nicht, weil er es nicht sehen will und kann - der sofortige Konkurs wäre die Folge).

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